Eine Filmkritik von Markus Fiedler
Das Baller-Ballett hat alles gezeigt
Das Jahr 2014 markierte für Action-Fans eine Zäsur. In diesem Jahr kam „John Wick“ in die Kinos, der in Sachen Schusswechsel und Kampfchoreographie ein neues Kapitel in der Filmgeschichte aufschlug. Chad Stahelski, damals bereits seit 30 Jahren als Stuntman aktiv, und David Leitch, ähnlich lange im Bereich von Stunts unterwegs, drehten gemeinsam einen Film, der Prügeleien und Schießereien auf eine neue Art zeigte: Lange Einstellungen von derben Kämpfen ohne Schnitte, blutig, schnell und ungemein ästhetisch. „John Wick“ wurde ein Erfolg und die beiden Experten für Hollywood interessant. Leitch drehte bald „Atomic Blonde“, der ebenfalls unverkennbar die Handschrift des Duos trug, danach Hits wie „Deadpool 2“ und „Bullet Train“, Stahelski bleib der Hauptmarke als Regisseur treu und inszenierte die Teil zwei, drei und auch den neuesten und möglicherweise letzten der Kernreihe, denn Spin-offs in Form von Film und Serie sind bereits auf dem Weg.
Kapitel 4 setzt die Story des Elitekillers auf der Flucht nahtlos fort. Diesmal setzt das weltumspannende Mörderkartell mit dem Marquis (Bill Skarsgard) einen besonders unangenehmen Zeitgenossen auf den Flüchtigen an, der jeden möglichen Helfer Wicks gnadenlos bestraft. Schlimmer noch: Mit dem legendären Assassinen Caine (Martial Arts-Legende Donnie Yen) rekrutiert er sogar einen alten Freund Wicks. Um das Leben seiner Tochter zu retten, soll Caine den alten Kumpel töten. John Wick muss sich also erneut gegen ein Heer von Killern zur Wehr setzen, darüber hinaus aber auch noch mit ehemaligen Freunden die Klingen kreuzen.
Und damit ist der Plot von John Wick Kapitel 4, den der knapp drei Stunden lange Film bereits nach zehn Minuten fast komplett vor dem Publikum ausgebreitet hat, auch schon erzählt. Doch bei dieser Reihe stand die reine Handlung ohnehin nie im Vordergrund, sondern diente nur dazu, Keanu Reeves in edlen, schrägen oder ausgefallenen Kulissen möglichst viele Leute umbringen zu lassen. Und das wirkt bei allem Einfallsreichtum in Sachen Kulisse und Gegner doch langsam redundant. Minutenlange Kämpfe, die sich im Kern immer gleichen, im vierten Teil aber vielleicht auch aus Altersgründen (Reeves ist 58 Jahre alt) mit etwas schnelleren Schnitten arbeiten als früher, das ist nicht mehr ganz so beeindruckend wie in früheren Teilen der Reihe. Stahelski kann durch die Orte, an denen er seine Action inszeniert, in diesem Fall zwei großartige Szenen in Paris, nur teilweise kompensieren, dass die Innovation von 2014 sich langsam so etabliert hat, dass das anfängliche Staunen mittlerweile ausbleibt.
Doch der Regisseur fand unterhaltsamen Ersatz für die leicht abgenutzten Action-Feuerwerke: den Italo-Western. Die Konstellation zwischen John Wick, Caine und einem dritten Charakter, gespielt von Shamier Anderson, erinnert in ihren besten Momenten an Szenen aus Zwei glorreiche Halunken oder Für ein paar Dollar mehr. Und sind damit die Spitze des Eisberges der Western-Anteile in John Wick 4. Zwar zeigt Stahelksi hier keine Augen in Großaufnahme und friert die Kamerawinkel ein, um mit Schnitten für Atmosphäre zu sorgen wie einst Sergio Leone. Diese Momente füllt Stahelski noch immer mit hysterischer Action. Aber die Stimmung dieser Filme greift er durchaus auf, Ehre, Freundschaft, Loyalität und das Wissen und das Sterben zur rechten Zeit gepaart mit kluger Coolness, das nimmt in Kapitel 4 großen Raum ein. Dementsprechend bleibt für die durchaus interessante Figur der Akira auch nur eine kleine Nebenrolle. John Wick bleibt ein Männerclub, was angesichts der Story und der Einflüsse, die Stahelksi hier zeigt, aber nur konsequent ist.
Richtig ist der Schritt in Richtung Western-Genre vor allem deshalb, weil er ein wenig Humor in die kurzen Dialoge spült und Reeves und Co. die dringend benötigte Selbstironie erlaubt. Und daher ist auch John Wick 4 für Fans von längst im Fantasy-Bereich angekommenen Ballerorgien empfehlenswert. Die nette Idee einer weltumspannenden Killergilde mit eigenen Regeln schmückt Teil 4 weiter aus, die Action passt (noch), und Keanu Reeves ist als wort- und mimikarmer Killer ohnehin schon Teil der Popkultur und braucht keine Regeln der Logik oder Glaubwürdigkeit mehr, um zu funktionieren. John Wick Kapitel 4 ist ein blutiger Action-Spaß, der sich selbst nie zu ernst nimmt und die übertriebene Gewalt als Teil dessen zelebriert. Wenn sich nach diesem Film der Vorhang für John Wick allerdings endgültig senkte, es wäre wohl künstlerisch eine gute Entscheidung. Denn ein gelungener Schwanengesang ist allemal besser als eine endlose Wiederholung der immer gleichen Szenen.
Im vierten Teil der Reihe nimmt es John Wick (Keanu Reeves) mit seinen bisher tödlichsten Widersachern auf. Während das Kopfgeld auf ihn immer höher wird, zieht Wick in einen weltweiten Kampf gegen die mächtigsten Akteure der Unterwelt – von New York über Paris und Osaka bis nach Berlin.